12. Juli

Meine No Gos in der Familienfotografie

Wo wir auch hinschauen, überall sehen wir Menschen. Menschen, die irgendeine Rolle erfüllen. Jeder von uns spielt in seinem Leben ganz viele verschiedene Rollen: Kind, Schwester, Partner, Freundin, Mama, Angestellte, Chefin, Fels in der Brandung, Hausfrau, Hundesitter, Tränentrockner, Finanzverwalter, Taxifahrer,... . Manchmal sind auch Rollen dabei, die wir übernommen haben, die uns aber gar nicht entsprechen.

Je nach Rolle haben wir ein unterschiedliches Auftreten. Wir tragen andere Kleidung, wir sind geschminkt und gestyled, wir haben eine andere Körpersprache, oft auch eine andere verbale Sprache: wir sind z.B. besonders witzig oder besonders dominant.

Mit meiner Art der achtsamen Fotografie möchte ich euch genau so, wie ihr tief in eurem Inneren seid und sein wollt, festhalten. Ich möchte nicht, dass ihr in eine Rolle springt und ein bestimmtes Muster abspult. Ich möchte, dass du wirklich du bist und dich selbst einmal so sehen darfst wie du aussiehst, wenn du du bist.

Aus diesem Grund gibt es für mich diverse No Gos in der Familienfotografie.

Schau mal, bei welchen Glaubenssätzen du dich selbst erwischst!

1. Wir müssen hübsche und saubere Kleidung tragen!

"Kleider machen Leute" heißt es im Volksmund so schön. Ich will aber keine Leute fotografieren. Ich will DICH. Euch. Und nicht die Rolle, in die ihr schlüpft, wenn ihr bestimmte Kleidungsstücke, Accessoirs, Schminke... tragt. 

Wirklich ich bin ich nur in Kleidern, die ich mag. Deren Farbe, Schnitt, Stoff und Geruch mir gefällt. Sobald etwas juckt oder kratzt, bin ich nicht mehr ungestört, sondern mit dem Fokus bei der Kleidung. 

Genauso ist es mit "fürs Fotoshooting ziehen wir jetzt das besonders schöne weiße Kleidchen an" oder "wir tragen alle vier Partnerlook in Jeans und weißem T-Shirt". Macht ihr das im Alltag auch? Nein? Dann lasst es! Warum soll dein Kind sich erstmal neu orientieren und sich an seinen eigenen und deinen Anblick gewöhnen müssen, um dich darin zu erkennen? Total über- bzw. in meinen Augen sogar falsch bewertet.

Also schlüpf in deine Lieblingsklamotten und lass bitte auch deinen Kindern möglichst freie Auswahl! Wenn sich einer beim Essen einkleckert, ist das überhaupt kein Thema. Wenn es dich stört, ziehen wir halt nach dem Essen was anderes an. Haben wir halt noch schöne Fotos vom Umziehen dabei - prima!

Und by the way habe ich das Buch, äääh die Novelle "Kleider machen Leute" in der 8. Klasse gehasst... 😉


2. Die Wohnung muss pikobello aufgeräumt sein!

Oh bitte, nein!!

Es sei denn ihr lebt tatsächlich in einem Schlössschen oder so wie in "Schöner Wohnen"! 

Bei mir zu Hause ist es immer Kraut und Rüben. Ich lebe mit zwei Kindern zusammen, die zwar schon ziemlich organisiert sind, aber dennoch viel liegen lassen. Und ich habe inzwischen gelernt, Dinge so anzunehmen wie sie sind und sie dann auch bewusst liegen zu lassen. Ich habe keine Lust, pro Tag mindestens 30min mit Aufräumen zu verbringen. Dann wohne ich lieber im Chaos und ja - es sieht halt manchmal wie beim Hempels unterm Sofa aus, aber schiet druff. 

Deine Kinder benehmen sich nur dann so wie immer, wenn auch ihre Umgebung genauso ist wie immer.

Hab bitte keine Scheu davor, dass ich über euch urteile. Oder dass "solche Bilder nicht an die Wand oder ins Fotoalbum gehören". Das ist ein uraltes gesellschaftliches Klischee. Ich halte dagegen: Der Alltag definiert die Kindheit! Lass deine Kinder später noch einmal in ihre Kindheit eintauchen können.

Über lebendige, echte und kunterbunte Bilder fühlen wir uns direkt wieder in die Momente zurück. Riechen, fühlen und schmecken unsere Kindheit!


3. Wir müssen ein Programm haben!

Der Fotograf ist teuer. Wir müssen auf die Zeit achten. Wir müssen möglichst viel in die Zeitspanne, die uns der Fotograf begleitet, hineinquetschen. Am besten fahren wir verschiedene Locations in verschiedenen Outfits an.

Nöö, ihr müsst gar kein Programm haben. Wir können auch einfach so in den Tag hineinleben und uns treiben lassen. Ich begleite euch einfach bei dem, was ihr tut. Und wenn ihr einfach nur Zuhause und im Garten/ auf dem Balkon bleiben wollt, dann machen wir das halt. Und wenn wir dann spontan noch im Supermarkt etwas einkaufen müssen, dann komme ich halt mit. Hast du schon tolle Fotos von deinen Kids im Einkaufswagen?! Siehste 🙂

Es entstehen wundervolle Fotos bei einer gemeinsamen Lesezeit, einem Kuchenbacken, Spaghetti-Essen, Zähneputzen, Trampolin springen, Blumen gießen...


4. Alle müssen die ganze Zeit gute Laune haben!

Unmöglich. Ganz ehrlich. Uuuunmöglich!!
Trenne dich von dieser Vorstellung.
Es wird nicht geschehen.

Ihr seid keine Roboter. Ihr seid Individuen. Natürlich werdet ihr nicht die ganze Zeit ausschließlich gute Laune haben.

Und das ist auch gut so. Es wäre doch voll langweilig, wenn wir aus einem Shooting nur Bilder herausbekämen, auf denen ihr ausschließlich freundlich lacht.

Wie schade wäre es um die schüchterne Anfangsphase, das sicherheitsuchende nach-Papas-Hand-greifen, das skeptische Beäugen, das Auftauen, das erste Lächeln, das mutig werden, die blitzenden Augen, das ausgelassene Lachen beim Durchkitzeln, das wilde Herumtoben und kurz darauf der Aufschrei und die Schmerzenstränen vom Sturz?!?

All diese Gefühle machen deinen Alltag aus. Lass uns sie festhalten!


5. Wir müssen still und artig sein!

In einem Fotostudio ist nicht viel Platz. Überall stehen Blitze, Reflektoren, Softboxen, Stative, Kameras, weiße Leinwände, hübsche, fragile Deko etc. 

Natürlich ist hier kein Raum zum "lass die Kinder mal laufen, wird schon gut gehen".

Also bist du schon die ganze Zeit innerlich angespannt und mit Fragen beschäftigt, wie:

  • Wird das wohl gut gehen?
  • Hoffentlich bleiben die Kinder ruhig bei mir.
  • Hoffentlich hören sie auf das, was ich sage.
  • Hoffentlich hat der Fotograf genug Zeit und ist entspannt.
  • Hoffentlich ärgern sich die Kinder nicht gegenseitig.
  • Was zahlt die Haftpflichtversicherung?

Meeensch, da hast du ja richtig viele positive Gedanken im Kopf! Du strahlst von Innen. Du bist ganz bei dir.

Haha. Sorry, ich musste einmal kurz lachen.

Wie sehr erleichtert es dich, wenn du hörst, dass das nicht so sein muss?! Höre ich ein KRAWUMMS (= Stein, der dir vom Herzen fällt)?! 😉

Seid bitte genau so wie ihr seid. Mit all dem Trubel, aller Lebendigkeit, allen Gefühlen und allem Chaos, das halt in einer Familie dazugehört!


6. Wir müssen uns beeilen!

Rein, alle hinsetzen vor die blaue Leinwand, lächeln, hinstellen, Faxen machen, Blitzlichtgewitter und Klack-Klack, fertig. 

Husch-husch funktioniert für mich in der achtsamen Fotografie nicht. Ich kann keine Massenabfertigung. Grundlage für meine Fotografie ist Vertrauen.

Ohne Vertrauen geht einfach gar nichts. 

Und Vertrauen bekommt man nicht mal eben so. Ich möchte dich und deine Kinder kennenlernen. Ich möchte, dass ihr so seid, wie ihr seid. Ich möchte euch in all euren Facetten festhalten können. Weil genau das die Fotos als Erinnerungen hinterher so wertvoll macht. Nur so sind es Marmeladenglasmomente. 

Wenn du hinterher die Fotos betrachtest, erinnerst du dich an die vielen schönen, kleinen, wertvollen Momente. Und nicht an das Geschrei, weil dein Kind sich nicht hinsetzen wollte. Dass du schnell die Tränen weggewischt hast, der Fotograf zum Glück das kleine Lächeln erwischt hat, das jetzt in der Verwandschaft mit "ach wie süüüß" gelobt wird. Wenn du dir das Bild anschaust, wirst du dich hinterher immer an die stressige Situation und dein Gefühl, dein Kind nicht im Griff zu haben und nicht zu genügen erinnern. Willst du das?!

Genau aus diesem Grund biete ich (abgesehen von meinem Mini-Kennenlernprodukt) nur Shootings ab einer Dauer von 3h an. Wir haben Zeit. Und wenn wir mehr Zeit brauchen, dann nehme ich sie mir. Glaub mir, es lohnt sich!


7. Ich will genau DIE Pose!

Jonas soll seine kleine Schwester Marie bitte in den Arm nehmen. Nein, nicht den vorderen Arm von oben, sondern bitte von unten. Jetzt noch den Kopf etwas weiter nach links neigen. Nee, zuviel. Wieder ein Stück zurück. Noch ein bisschen. Noch ein bisschen. Jetzt noch das Kinn etwas nach oben, sonst gibt es ein Doppelkinn. Ah ja, das ist schön. Nun bitte noch lächeln. Gaaaaanz entspaa-haannt! Und Cheeeeeeese! Blitzlichtgewitter.

Puh, wenn ich nur an meine letzte Passfoto-Aufnahmen denke, kriege ich Schweißausbrüche. Das mag ja für ein Passfoto noch gehen. Aber doch bitte nicht für Bilder, die hinterher als "authentisch" betitelt werden.

Ja, natürlich könnt ihr Ideen für Fotos mitbringen. Mir eure Lieblingsmomente nennen. Sagen, welche Perspektive ihr besonders schön findet. Ich setze das auch gerne mit euch gemeinsam um. Ich werde euch aber definitiv nicht in irgendeine Pose arrangieren. Und schon gar keine Kinder.

Natürlich frage ich manchmal auch: "kannst du einmal zu mir schauen?" Aber wenn dein Kind das dann nicht macht, so what, dann werde ich es aus einer anderen Blickrichtung erwischen!


8. Oma Lieselotte müssen die Bilder gefallen!

Macht ihr die Bilder für Oma Lieselotte oder für euch? Wenn ihr die Bilder für Oma Lieselotte macht, sollten sie ihr natürlich auch gefallen. Wenn euch das keinen psychischen oder physischen Schmerz hinzufügt, könnt ihr die Bilder dann ja auch genauso wie Oma das mag, von euch machen/ machen lassen. 

Wenn ihr euch dabei aber nicht wohlfühlt und sich alles dabei in euch sträubt, dann lasst es doch bitte.

Dann macht Bilder, die euch gefallen. Die gemacht werden, während ihr eine schöne Zeit habt. Während ihr euch wohlfühlt. Während ihr euch unbeobachtet fühlt.

Wenn Oma Lieselotte dann eins davon geschenkt bekommt, ist es ihre Entscheidung, ob sie es aufstellen mag oder nicht.

Du musst dich nicht für irgendwelchen gesellschaftlichen oder familiären Erwartungen oder Normen in eine Rolle pressen lassen, die du nicht bist.


9. Einer fehlt!

Übernimmst du die Rolle der Fotografin, fehlt auf deinen Bildern immer eine! Deine Familie ist nie ganz komplett, weil du halt nicht sichtbar ist.

Meine Kinder fragen oft: "Mama, wo warst du?", wenn sie Fotoalben mit Bildern, die ich aufgenommen habe, betrachten.

Meine jüngere Tochter hat einmal die Theorie aufgestellt, ob ich wohl noch nicht geboren war. Schließlich war das unsere Standard-Antwort auf ihre Frage, wo sie denn sei, beim Anschauen der Babyfotos ihrer großen Schwester.

Tja, oder war ich auf Toilette? Hmm. Ich glaub, ich war einfach nur hinter der Kamera.

Ja, ich weiß, es gibt inzwischen viele, die mit Selbstauslöser Portraits machen. Es ist nicht meins. Es ist mir zu gestellt. Es ist bewusst. Es ist kein natürliches Verhalten in meinen Augen.


10. Ich bin nicht schön genug!

Nirgendwo - wirklich nirgendwo! - begegnet mir die Aussage "bin ich wirklich schön genug?!" so oft, wie wenn ich mit der Kamera unterwegs bin.

Das gesellschaftliche Schönheitsideal haben wir alle mit der Muttermilch mitbekommen. Nur?! Wollen wir wirklich daran festhalten? Willst du so aussehen wie xy?

Ich nicht.

Und nein. Ich gehöre (leider) auch immer noch nicht zu den Menschen, die ein Schönheitsideal in Gänze von sich weisen können. Dafür hat es mich auch einfach zu lange begleitet. Ich löse mich einfach Schritt für Schritt davon. Wie geht es dir?

Meine feste Überzeugung ist, dass unsere Kinder und unsere Partner uns anders wahrnehmen als wir uns selbst. Sobald man jemanden mit Liebe und Herzlichkeit betrachtet, kann man ihn nicht hässlich finden.

Jeder hat Ecken und Kanten. Aber machen nicht genau die uns unterm Strich aus?!

Außerdem geht es bei der Familienfotografie ja nicht ausschließlich um dich. Es geht um euch als Ganzes. Deine Familie gibt dir mehr Sicherheit als ein Business-Kontext. Du wirst dich öffnen können. Dafür sorgen deine Kinder ganz automatisch.

Und lass dich überraschen, wie viel es ausmacht, wohlwollend und liebevoll fotografiert zu werden!


Fazit

"Schönheit liegt im Auge des Betrachters" - noch so eine Binsenweisheit und doch so viel Wahres dran!

Ihr seid - genau so wie ihr seid - perfekt. Deine Kinder lieben dich genau so wie du bist. Du liebst deine Kinder genau so wie sie sind.

Gönn es dir, 

  • dich einmal durch die Augen deiner Kinder zu sehen.
  • auch in zehn Jahren wieder in die Alltagsmomente mit deinen Kindern hineintauchen zu können.
  • alle Emotionen noch einmal erleben zu dürfen.
    Sie nicht nur zu sehen, sondern dank der Art der Fotografie wieder mit allen Sinnen in den Moment eintauchen zu können und alles in ihm auch wirklich zu riechen, schmecken, hören und fühlen.

Sind Marmeladenglasmomente einmal konserviert, kann niemand sie uns wieder wegnehmen!


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